Kulinarik

Was kann die Kulinarik-Destination Österreich?

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07.03.2024

Das Comeback des Guide Michelin sollte der Anlass sein, die Qualitätsparameter der Kulinarik-Destination Österreich kritisch zu hinterfragen. Denn es gibt einige Baustellen.
Magone, Bozena_Fulawka, Prostock-Studio, Phill Thornton, antoniotruzzi, tatniz, wabeno, Irina Gutyryak, v_zaitsev, www.facebook.com/okolaamicrostock / alle iStock / Getty Images Plus via Getty Images

Wiener Schnitzel, Apfelstrudel, Salzburger Nockerl. Jenseits des deutschen Sprachraums ist Österreich auf kulinarische Klischees reduziert. Die Rückkehr des Guide-Michelin bietet die einmalige Gelegenheit dieses Bild durch exzellente Bewertungen und andere nicht minder wichtige Details international exakter auszuleuchten.

Dass Österreich im Guide irgendwo zwischen respektabel und sensationell abschneiden wird, ist einigermaßen sicher. Im zuletzt 2009 erschienenen Guide in Buchform erhielten 469 Betriebe eine Auszeichnung. In der neuen Online-Ausgabe könnten noch mehr sein. Der Verlag hat, um ausgiebig testen zu können, die Veröffentlichung der Bewertungen bereits auf Jänner 2025 verschoben.

Andreas Döllerer, der im Gault Millau mit 5 Hauben, im Falstaff mit 98 Punkten und im A la Carte mit 99 Punkten bewertet ist, wird der Michelin natürlich nicht übersehen. Als ehemaliger Präsident der Jeunes Restaurateurs Österreich und aktueller Obmann des „Koch.Campus“ hat er die Hand am Puls der Kulinarik-Destination: „Mindestens so wichtig wie zusätzliche 3-Sterne wären viele Betriebe mit 2 Sternen und Bib Gourmands. Das würde unsere Stärken am besten unterstützen“, so Döllerer, der aber noch eine andere Erwartung hegt: „Wenn die Rückkehr des Guide Michelin dazu führt, dass wir uns darüber im Klaren werden, wofür Österreich als Kulinarik-Destination im Großen und Ganzen eigentlich steht, dann wäre das schon ein großer Sprung nach vorn. Bislang sind wir eher ein Fleckerlteppich, weil jedes Bundesland ein eigenes Image pflegt. Gerade ein kleines Land wie Österreich braucht auf der internationalen Ebene klare Botschaften.“

Dieses altbekannte Dilemma scheint Astrid Steharnig-Staudinger, neue ÖW-Chefin seit Mai 2023, mit Charme und guten Argumenten überwunden zu haben: „Wir stellen noch vor dem Sommer eine gemeinsam mit den Landestourismusorganisationen entwickelte Kommunikationsstrategie für die Kulinarik-Destination Österreich vor, die das Land künftig mit all seinen Vorzügen international in die Auslage stellen – von unseren tollen Wirtshauskultur, die in dieser Dichte kaum ein anderes Land zu bieten hat, bis hin zur Top-Gastronomie.“ Man darf auf die Umsetzung gespannt sein!

Die österreichische Innovations-Cloche

Hinsichtlich der Ess- und Kulinarikkultur sieht Foodtrendforscherin Hanni Rützler in Europa zwei unterschiedliche Ausprägungen. In Italien und Frankreich haben Küche und Kulinarik einen geradezu religiösen Status. Abweichungen von der Tradition werden nicht gerne gesehen und dementsprechend geahndet. Fragen Sie mal 3-Sternekoch Massimo Bottura, der mit der „Osteria Franchescana“ der italienischen Hochküche den Staub vom Relief geblasen hat.

Auf der anderen Seite stehen Länder ohne prägende eigene Ess- und Kochkultur wie England oder Dänemark. Diese Systeme sind dementsprechend offen für andere Esskulturen und innovationsbereit – und so präsentieren sich diese Länder aktuell auch, wie sich nicht nur in den Foodie-Hotspots London oder Kopenhagen lustvoll erleben lässt.

Österreich steht für Rützler etwa in der Mitte, tendenziell auf der Seite der Tradition. „In der Gastro und auch in der Produktion sehe ich einen starken Innovationsdrang, gerade die Jungen gehen da gerne neue Wege“, so Rützler. Bei manchen Verbänden und Interessensvertretungen ortet Österreichs prominenteste Foodtrend-Forscherin den Reflex, „gerne eine Cloche auf diese dynamische Szene zu stülpen“ und Entwicklungen der Ess- und Lebensmittelkultur durch eigene Förderprogramme zu kanalisieren und letztlich zu kontrollieren. Das hat u.a. dazu geführt, dass sich zwischen Top-KöchInnen sowie dem innovativen Sektor der Branche und der Politik bislang kaum Dialog auf Augenhöhe über die Entwicklung der Kulinarik-Destination Österreich etabliert hat. Hanni Rützler würde sich mehr Austausch zwischen den Organisationen, den Disziplinen, den Berufsgruppen und der Wissenschaft wünschen: „In Österreich reden wir uns manche Probleme schön und landen bei uninspirierten Kompromissen. Das macht uns in diesen bewegten Zeiten nicht fit für die Zukunft.“ 

In Vino veritas

Der Aufstieg des Österreichischen Weins aus der Asche des Weinskandals 1985 zu einem everybody´s darling der Sommeliers und der globalen Weinjournaille könnte als Inspiration wie auch als Mutmacher für alle dienen, denen es noch an Visionen und Fortschrittsglauben für die Kulinarik-Destination mangelt. War die Gründung der Österreichischen Weinmarketing (ÖWM) im Jahr 1986 am Anfang der eher verzweifelte Versuch zu retten, was zu retten ist, zeigte der unermüdliche Ehrgeiz der „Trümmerwinzer“ und der ÖWM, Österreich als Weinland zu rehabilitieren, letztlich große Wirkung. Schon in den Neunziger Jahren trat der Grüne Veltliner, seinen Siegeszug um die Welt an. Die steirischen Sauvignon blancs und die burgenländischen Roten, insbesondere Blaufränkisch, folgten. Die Exporterlöse stiegen Jahr für Jahr, von 60 Millionen Euro in 2000 auf 232 Millionen Euro in 2022. 

Für ein Land, das weniger als ein Prozent der Weltweinproduktion hervorbringt, macht Österreich mächtig viel Wind. In der internationalen Top-Gastronomie hat sich Österreich einen fixen Platz in den Weinkarten erkämpft. Die ÖWM schleust jährlich zahlreiche internationale Top-JournalistInnen durch die Rieden und Keller der Weinbauregionen – mit Erfolg! Österreichs Winzer und die ÖWM sind weltweit bei Verkostungen präsent und überaus erfolgreich. In der alljährlich vom US-Magazin „Wine & Spirits“ veröffentlichen Liste „Top 100 Wineries“ fanden sich 2023 erstmals vier Weingüter aus Österreich – Dorli Muhr, Moric, Wachter-Wiesler und Rudi Pichler. 

Das Weinwunder Österreich wäre in dieser Form wohl nie zustande gekommen, wären die Winzerinnen und Winzer nicht selbst die strengsten Kritiker ihrer eigenen Produkte gewesen. Mitglieder von Vereinen wie Pannobile haben über Jahre in Blindverkostungen ihr eigenen Gewächse in der Gruppe schonungslos analysiert und kritisiert. Selbstkritik und Zielstrebigkeit haben die Branche über Jahre gehärtet und eine imposante Qualitätspyramide hervorgebracht. Dies als Anregung für alle VermarkterInnen landwirtschaftlicher Produkte.
Auch beim Bier sprudeln Vielfalt und Qualität aus den Zapfhähnen. Mit 382 Braustätten können sich unsere Gäste nicht über mangelnde Auswahl beklagen. Ähnlich verhält es sich mit den Edelbränden. Die Qualität heimischer Edelbrände ist anerkannt und beweist sich bei internationalen Verkostungen. 

Was sagen Experten in den Destinationen?

Michael Gigl, Head of Market USA, Österreich Werbung:
„Hochwertige Kulinarik-Erlebnisse sind für viele Gäste aus den USA ein wichtiger Aspekt bei der Destinationsauswahl. Durch den neuen Guide Michelin können wir Österreichs Spitzenrestaurants und Top Chefs in einem international bekannten Auszeichnungssystem vor den Vorhang holen, und somit auch bislang wenig bekannte Aspekte unserer hervorragenden regionalen und alpinen Küche wirkungsvoll kommunizieren.“

Martina Jamnig, Head of Market Großbritannien:
„Die Kulinarik-Destination Österreich hat sicherlich Potenzial – auch in 
Verbindung mit den aktuellen Trends, wie Farm to Table oder local food. Aktuell wird Österreich in UK noch nicht als die Kulinarik-Destination gesehen. Eine Guide Michelin trägt dabei sicherlich zur Positionierung bei und hilft auch dabei zu zeigen, dass die österreichische 
Küche viel mehr ist als Knödel und Schnitzel.“ 

Emanuel Lehner-Telic, Head of Markets Asia-Pacific, Österreich Werbung:
„Österreichische Weine sind in der 
asiatischen Spitzengastronomie bereits bestens vertreten. Von der österreichischen Küche bzw. Kulinarik weiß man allerdings noch sehr wenig. Asiaten 
lieben Rankings und vertrauen vor 
allem etablierten Guides. Insofern ist 
für unsere Marktbearbeitung der Guide Michelin Österreich ein mehr als willkommenes Mittel, um bei den asiatischen Kulinarik-Liebhabern zu punkten.“

From Farm to Table

Die Umweltauflagen sind höher als in den meisten EU-Staaten, der Anteil der industrialisierten Produktion ist im Vergleich gering. Innerhalb der EU wird in Österreich Rindfleisch am nachhaltigsten produziert, auch Milch und Eier sind hier ähnlich gut geranked.  

So weit, so gut. Top-Fleisch wird exportiert, billige Ware wird importiert und landet natürlich auch im C&C-Handel. „Österreich ist ein klassisches Aktions-Land“, befindet Hannes Royer, der mit seinem Verein „Land schafft Leben“, seit vielen Jahren die Produktion, den Vertrieb und den Verbrauch landwirtschaftlicher Produkte durchleuchtet und Datenmaterial dazu publiziert. Sein Resümee: „Im Einkauf zählt der Preis meist viel stärker als regionale Herkunft und Qualität, daher wird billiges Importfleisch gekauft. Und dann spielt man für die Gäste die heile Welt der regionalen Küche.“ Er fordert eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie, da dies für die Gäste sichtbar mache, welche Qualität heimische Lebensmittel zu bieten habe.

Diskreter Bioweltmeister

Auch als „Bioweltmeister“ kann Österreich in der Außendarstellung nicht punkten. Kein Land weist einen höheren Anteil an Bioproduktion auf. Im Lebensmitteleinzelhandel ist das sichtbar, in der Gastronomie hingegen kaum. Gastrobetrieben ist es verboten, Bioprodukte auszuloben, solange sie als Betrieb nicht offiziell biozertifiziert sind. Damit sollte verhindert werden, dass mit Bio-Produkten Greenwashing betrieben wird. Nun hat das aber auch zur Folge, dass Gastronomie selten Bioprodukte kauft – und selbst wenn, bleiben sie meist unsichtbar. 

So sind die Biobauern dem Preisdruck des Handels stärker ausgesetzt. 2023 war sowohl die Anzahl der Biobetriebe wie auch die bewirtschaftete Fläche leicht rückgängig. Vielleicht sollte man die bisherige Biostrategie überdenken? Österreichs frisch ausgerufenes Ziel, sich als weltweit nachhaltigste Tourismusdestination zu etablieren, würde zuvor eine Phase der aufrichtigen Selbstreflexion benötigen. Nachhaltigkeit bekommt erst durch Transparenz die nötige Marketingpower, und darum ist es in Österreich nicht gerade gut bestellt. Die verpflichtende Lebensmittelherkunftskennzeichnung in Gastronomie und Hotellerie steht in Österreich schon viele Jahre auf „Hold“. Befürworter und Gegner haben sich es in ihren Argumentebunkern gemütlich eingerichtet.

Der Erfolg der „freiwilligen Herkunftsauszeichnung“ via AMA Genuss Region in Gastronomie und Hotellerie ist trotz massiver Unterstützung überschaubar. Mit dem Stand gab es zwar bereits 1370 zertifizierte gastronomische Betriebe, prozentuell liegen wir immer noch im tief einstelligen Bereich.  Dass die Kontrollen des Einkaufs in der Regel nur alle drei Jahre in einem Betrieb stattfinden, dürfte eine sehr österreichische Version der Transparenz sein. Ein starkes Argument in der touristischen Kommunikation ist das nicht. 

Diskussion erwünscht

Hanni Rützler, Österreichs bekannteste Foodtrendforscherin, würde sich eine aufrichtige Diskussion in der Branche über Qualität und Vielfalt wünschen: „In Österreich reden wir uns zu viele Probleme schön und landen bei uninspirierten Kompromissen“. Das sei für eine erfolgreiche Gestaltung der Zukunft nicht ausreichend.

Für den Neustart der Kulinarik-Destination hat die Österreich Werbung auch jetzt schon ausreichend Substanz für die Kommunikation, so Astrid Steharnig-Staudinger: „Künftig wollen wir in wichtigen Zielmärkten wie Niederlande, Belgien,  USA, Ostasien und natürlich auch im DACH-Raum mit dem Thema Kulinarik viel präsenter sein. Wir werden auch Kulinarik-JournalistInnen öfter als bisher nach Österreich holen, um unsere Vielfalt und Qualität als nachhaltige Kulinarik-Destination vor Ort erlebbar zu machen. Die Michelin-Bewertungen nutzen wir als door-opener für unsere Kulinarik-Offensive“.