Interview

Familiendynamik trifft Unternehmensstrategie

Betriebsübergabe
13.09.2023

Von: Thomas Askan Vierich
Interview mit Manuela Mätzener, die seit 25 Jahren als systemischer Coach ­Familienunternehmen bei der ­Betriebsübergabe berät.
Schlüsselübergabe

ÖGZ: Sie begleiten Übernahmen und Übergaben systemisch. Was bedeutet das?
Manuela Mätzener: Ich bin systemische Beraterin, das heißt, ich arbeite bei Familienbetrieben immer mit den drei Systemkreisen: dem der Beziehung oder Familie, dem der Organisation und dem des Vermögens. Je kleiner der Betrieb, desto schwieriger wird es, diese Rollen und Verantwortungen zu durchschauen und zu trennen. Meine Rolle ist dabei Beraterin, Coach, Moderatorin und Konfliktmanagerin, Aufstellerin. Das ist für die Beteiligten nicht immer angenehm, denn ich dringe in die Untiefen von Menschen ein. Dennoch sind sie froh, wenn sie sich darauf eingelassen haben. 

Man lässt jemand Fremden Einblick ins Unternehmen und in die Familie nehmen …
Gerade im Tourismus möchte man nicht zugeben, dass doch nicht alles so super läuft, wie es den Anschein hat. Weil die Kinder nicht wollen, weil die eigene Partnerschaft nicht funktioniert. Da geht es auch um Imageverlust, Stolz und Scham. 

Wie läuft so ein Prozess ab?
Im ersten Jahr kommt man schon mal auf 15 Beratungstage, wenn man alle Beteiligten interviewt, Berichte schreibt und die erste Familienkonferenz organisiert. Aber dann wird es weniger. Kurz vor der tatsächlichen Übergabe wird es nochmal dicht. Gut ist es, wenn man ein sogenanntes Familienmanifest erstellt hat. In dem steht, wo man im Groben gemeinsam hin will. Das muss man dann aber auch gemeinsam umsetzen. Da stehe ich auch punktuell mit einer Hotline zur Verfügung. Da können mich alle Beteiligten Tag und Nacht anrufen. Das tun die tatsächlich, auch nachts. Und wir machen Aufstellungen zu allen Fragestellungen, zu neuen Zielgruppen, Investitionen, Bauten, Marketing und so weiter.

Manuela Mätzener
Manuela Mätzener

Was passiert, wenn Sie spüren: Die junge Generation will nicht übernehmen, weil sie nicht mehr an den Tourismus glaubt, den ihre Eltern vorgelebt haben? Überreden Sie die dann? 
Sicher nicht. Solche vergifteten Aufträge nehme ich gar nicht an. Ich bin ja allparteilich. Ich vermittle zwischen den Systemen und arbeite nicht für eine bestimmte Seite. Manchmal sind da auch versteckte Agenden im Spiel. Deshalb investiere ich am Anfang ein bis zwei Tage, auch unbezahlt, weil ich das Vertrauen aller Beteiligten brauche und das muss ich mir erst verdienen. Da stelle ich ganz viele Fragen, und wer nicht gewillt ist, einzusteigen in diesen Vorprozess, den erlaube ich mir auch abzulehnen. 

Hat die junge Generation einen anderen Zugang? 
Ich stelle tatsächlich fest, dass die Jungen oft nicht mehr wollen. Oder nicht mehr so wollen wie ihre Eltern. Die Alten sagen, das muss alles direkt geführt werden, alles in einer Hand liegen. Ich muss alles kontrollieren, omnipräsent sein. Um davon wegzukommen, braucht es viel Vertrauen und das muss erst aufgebaut werden. Und es braucht andere Organisationsstrukturen. 
Gleichzeitig darf es nicht zu einem Bruch kommen. Das wäre schlecht fürs Geschäft. 
Weil entweder die Mitarbeiter oder die Kunden gehen? Aber die gehen sowieso, also ein Teil der Kunden vor allem, wenn der Gastgeber so eine prägende Rolle spielt. Aber es werden neue kommen. Auch wenn man als Gastgeber nicht mehr rund um die Uhr präsent ist im Betrieb.

Oft geistert dann der Seniorchef oder die Seniorchefin noch durchs Haus, nur um Präsenz zu zeigen. 
Das kann nur zu Konflikten führen. Wir sagen oft zu unseren Kunden: Glaubt ihr wirklich, dass es ohne euch nicht gehen wird? 

Wenn die Familie nicht möchte, ist ein Management-Buy-in eine Alternative, also dass der Oberkellner das Lokal übernimmt oder der Hoteldirektor das Hotel. Begleiten Sie das auch?
Das müssen wir immer häufiger machen. Oft hapert es am Geld. Aber da gibt’s wunderbare Modelle, zum Beispiel mit Gratifikationen, die man anspart. So etwas läuft oft über viele Jahre.

Also der Oberkellner, nennen wir ihn mal so, weiß, dass er an einem bestimmten fernen Stichtag den Betrieb übernehmen wird?
Jedes Jahr kann der vielleicht 10 Prozent erwerben und ist deswegen in die Planung miteinbezogen. So wächst der Übernehmende immer mehr rein in das Managementboard, wird immer mehr zum Eigentümer.

Sind diese Übernahmeprozesse einfacher, weil vielleicht weniger Gefühle dabei sind? 
Nein, nein, das sind ja auch Mitarbeiter, Menschen. Also da haben wir auch die komplette Gefühlspalette. 

Zur Person

Manuela Mätzener ­hat Philologie, Psychologie, Pädagogik und Medienkunde studiert, danach Ausbildung als systemische Trai­nerin, Coach und Aufstellungs-leiterin; sie berät seit 30 Jahren Unternehmen, zu­nächst über Kommunika­ti­on, dann im Bereich HR und heute vor allem beim Übergabeprozess.

Aber andere als in der Familie vielleicht, oder?
Ja, da fallen diese oft traumatischen Kindheitsgeschichten weg. Aber man hat trotzdem noch eine gemeinsame emotionale Basis oder Geschichte. Konflikte, die älter sind als zehn Jahre, können wir als Berater auch nicht mehr lösen. Ich vielleicht noch am ehesten, weil ich eine systemische, psychologische Ausbildung habe. Aber manchmal komme auch ich an meine Grenzen und muss sagen: Der oder die muss jetzt erstmal in Therapie gehen. Beim externen Kauf ist das besser: Da gibt es eine Zahl, über die man redet, was die Gabe und Gegengabe wert ist. Bei der familieninternen Übernahme ist vieles oft eher unentgeltlich, also in Form einer Schenkung. Deswegen liegen dort oft so viele emotionale Faktoren drauf wie nicht enden sollende Dankbarkeit. 

Was man nicht beziffern kann, kann man nicht abstrahieren, und dann wird es zu reinen Emotionen. Um es ein bisserl wittgensteinisch auszudrücken…
Ja, genau, und deswegen reden wir am Anfang immer über diese unausgesprochenen Erwartungen auf beiden Seiten. Das Hauptthema bei der Übergabe in einem Familien­unternehmen ist dieses berühmte Lebenswerk, das man dann bedeutungsschwer übergibt. Und alles, was man nicht genauso macht wie die Alten, kommt sofort einer Kritik an diesem Lebenswerk gleich. Und wenn die Nachfolgegeneration erst mit 50 oder 55 übernimmt, ist die ja auch schon betriebsblind. Alle zusammen machen sich oft Illusionen, wie viel ihr Betrieb tatsächlich wert ist. Die glauben: Ich bekomme 8 Millionen oder das restliche Leben 8.000 Euro Monatsgehalt und solche Dinge. Da muss man sie manchmal enttäuschen. Vor allem im Tourismus tragen ja viele Häuser hohe Hypotheken.

Sind schlicht überschuldet.
Wenn die Häuser groß sind, können das 14 bis 30 Millionen sein! Das muss man ihnen erklären, dass nur viel (Lebens-)Arbeit und was halt schön dasteht noch kein Geschenk sind. Was ist also der wahre Preis? Die Erwartungen sind vielfältig, und deswegen muss man über alles reden. Gerade was diesen Fruchtgenuss angeht: Kann ich mein restliches Leben alle meine Freunde ins Hotel einladen? Wie viele Flaschen darf ich mir noch täglich aus dem Weinkeller holen? 

Gibt es ein ideales Übergabemodell?
Aus systemischer Sicht ist es nicht zu empfehlen, dass die Senioren bis zu ihrem Ableben Anteile halten, weil sie dann immer noch Mitspracherechte haben. Da geht es ja auch um Haftungen. So kommt der Übernehmer nicht in die Kraft für seine Entscheidungen. Das muss ich aus systemischer Sicht in diesem Prozess vor der tatsächlichen Übergabe vorbereiten. Damit es zu einer wirklichen Übergabe kommt, mit allen Konsequenzen. Der Übernehmer will ja selbst gestalten, will seine eigenen Fehler machen. Er will vielleicht schon noch den Rat der Eltern. Aber er will nicht, dass die mitmischen. Das ist der oft schmerzhafte Prozess der Ablösung in der Familie, den ich auch im Unternehmen brauche. Sonst kann sich keine neue Führungskultur etablieren, sonst kriegt der Nachfolger auch nie die Mitarbeiter auf seine Seite.