Trinkprotokoll: Sorgen ohne Likör

Gastronomie
18.05.2020

Von: Roland Graf
Ein Rückblick auf die wirtelose Zeit: Die Getränkekolumne von Roland Graf in der ÖGZ.
Roland Graf

Was wohl Herr Josef macht? Donnerstag morgens prosteten wir uns immer zu im „Tschecherl“. Er mit seinem Morgenbier, ich mit „Rätselwein“, einem verdeckt servierten Achtel, dessen Provenienz der ÖGZ-Profi zum Gaudium der Gäste nicht immer benennen kann. Vermutlich sitzt Herr Josef daheim mit einer Dose anstatt des perfekt gezapften Fassbiers. Doch was trinkt Österreich eigentlich wirklich ohne seine Wirte?

Eine Antwort lautet: mehr Kaffee! 17 Prozent der befragten 500 Heimtrinker brühen sich mehr Tassen auf als ante coronam. Aus Gastro-Sicht ist die Begründung in dieser von Nespresso vorgelegten Studie interessant. Nicht gegen Computer-Frust im Heimbüro oder als Kinder-Bespaßungs-Pausenschluck wird Espresso gebechert. Der häufigste Grund war, sich Kaffee exakt nach der persönlichen Vorliebe zubereiten zu können. Anders gesagt: So, wie ihn normal gute Cafés kredenzen.

An der Schnapsflasche sucht man hingegen kaum Trost, meldet die Spirituosenbranche. Den Ausfall der Gastronomie kann der Handel nicht auffangen. „Da hätte er um 25 Prozent wachsen müssen“, rechnete mir in einer Zoom-Session Kirsten Grant vor. Die Schottin ist eine Freundin offener Worte und plaudert immerhin aus dem Nähkästchen des größten familiengeführten Whisky-Hauses (William Grant und Sons). „Nach anfänglichem Hamstern hat sich da nicht viel getan.“ Die Gastro fehlt wirtschaftlich. Dazu sagt der Wiener auch ohne VWL-Ausbildung nur: „Eh kloa!“

Viel interessanter aber ist die allerorts zu hörende Aussage, dass es allein halt auch nicht schmeckt. Der „Wirt“, um es soziologisch zu sagen, ist nämlich ein „Dritter Ort“. Weder Wohnstatt noch Arbeitsplatz, sondern ein halböffentlicher Wohlfühl- und Genuss-Ort, an dem kommerzielle Regeln gelten. Und nichts fehlt mehr, wenn Ort 1 und 2 zum Heimbüro zwangsfusionieren, als eine Fluchtmöglichkeit. Weniger zu den stärkenden Getränken als solchen; vielmehr zu den Profis der Geselligkeit – und zum donnerstäglichen „Prost“ mit Herrn Josef.

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