Selbsttest: Eine Schicht als Zusteller

Gastronomie
19.09.2019

Von: Daniel Nutz
Essenszusteller fahren in Österreich als erstes Land ab 2020 mit einem eigenen Kollektivvertrag. Doch wie ist der Job eigentlich? Ein Selbsttest. 
Eine Schicht als Essenszusteller: Es geht los!
Eine Schicht als Essenszusteller: Es geht los!
Stopp in einem Burgerlokal. Dann geht es weiter ins verbaute Wohngebiet.
Senior Rider François stand dem Autor zur Seite.

Ein Blick auf die App, um die Zieladresse zu sehen, und schon düse ich die Praterstraße Richtung Wiener Innenstadt entlang. Ich ziehe an anderen, langsameren Radfahrern und Straßenschildern vorbei.

Meinen Redaktionssessel habe ich heute mit einem Drahtesel des Lieferservice-Anbieters Mjam getauscht und fahre recht angespannt zu meiner ersten Abholung. Die Informationen meiner Einschulung liegen mir noch im Ohr. Die meisten Infos bekomme ich über die App auf mein Smartphone. Vor mir taucht eine rote Ampel auf. Stopp, ich bremse! Nur keine Strafe riskieren, die würde doch gleich meinen ersten Tagessold auffressen. Vier Euro pro Zustellung bekomme ich als freier Dienstnehmer. Mjam garantiert mir zumindest zwei Fahrten pro Stunde, also acht Euro Umsatz.

Für ein paar Stunden bin ich einer von etwa 900 aktiven Fahrern in Österreich, die für Restaurants, Wirtshäuser oder Imbissbuden Essen ausliefern. Das Angebot von Mjam in den größeren Städten des Landes an die Gastro-
nomie: Man zahlt eine Kommission von etwa 15 bis zu maximal 35 Prozent der Verkaufssumme und ist ab der Essensübergabe alle Sorgen los. Oder man nützt nur den Webshop und stellt selbst zu. Das kostet dann in etwa die Hälfte. 2.500 Restaurants in Österreich nützen diese Services.

Weniger Trinkgeld 

Mein erstes Ziel ist erreicht. Ich betrete das Restaurant, und ein Herr hinter der Theke drückt mir schon das verpackte Essen in die Hand. Das kommt in meinen fast einen Kubikmeter großen Rucksack. Acht Pizzas passen hier rein, sagt François, der mich bei meiner Schicht begleitet. Er ist Senior Riding Captain, das heißt, er fährt schon verdammt lange.

Wir radeln weiter. Die erste Zustellung läuft wie geschmiert. Hinter dem Portier eines Bürogebäudes wartet schon die Kundin, die mit Karte bezahlt hat und mir zwei Euro Trinkgeld zusteckt.

Das Trinkgeld gehe etwas zurück, seit die Leute öfters bargeldlos zahlen, meint François, während wir beide schon zum nächsten Auftrag radeln. Aber in etwa jeder dritte Kunde gibt etwas. Damit kann man sich das Salär doch ein bisschen aufbessern. François ist angestellt, wird nach Stunde plus einer kleinen Provision für jede Fahrt bezahlt.

Kollektivvertrag

Sein Arbeitgeber brachte es als eines der ersten Unternehmen der sogenannten Gig-Economy, die einen Betriebsrat gründeten, international in die Schlagzeilen. Hinter der Gig-Economy steht oft die Frage nach Umgehung von arbeits- und kollektivvertraglichen Standards. Derzeit gibt es ernsthafte Bestrebungen, hier ganz klare Regeln zu schaffen. Die größten Arbeitgeber wie Mjam, Lieferservice oder Pink Pedals haben sich mit den Arbeitnehmervertretern auf den weltweit ersten Kollektivvertrag (KV) für Fahrradboten und Essenszusteller geeinigt. Ab 1. Jänner 2020 gilt nun ein Basislohn von 1.506 Euro brutto im Monat plus Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Der ab 2020 geltende Kollektivvertrag für Fahrradzusteller wird bei Mjam, der größten Online-Essensbestellplattform Österreichs, nur für einen kleinen Teil der Boten gelten. "Ungefähr zehn Prozent unserer rund 1.200 Fahrradkuriere in Österreich, die fallweise oder regelmäßig für uns arbeiten, haben eine fixe Anstellung und für sie gilt der neue Kollektivvertrag", hieß es von Mjam auf

Der KV gilt dann für die fix angestellten Fahrer, die derzeit noch dem freien Gewerbe zugeordnet sind. Bei Mjam sind das aber nur rund zehn Prozent der Fahrerinnen und Fahrer. Die anderen sind freie Dienstnehmer. Für sie heißt es auch weiterhin: so schnell wie möglich in die Pedale zu treten, um drei oder vier Aufträge pro Stunde zu erledigen, um wenigstens auf einen Stundenlohn von zwölf bis 16 Euro zu kommen.

Mein Selbsttest zeigt, dass das gar nicht so leicht ist. Mein zweiter Auftrag schickt mich zu einem Burgerlokal am Naschmarkt. Ich packe die Speisen in den Rucksack und kämpfe mich durch dichtverbautes Wohngebiet. Ich verliere die Orientierung, wo die Radwege entlang laufen, auch weil mich die in der App integrierte Navigationshilfe im Stich lässt. Nicht nur die Anstrengung des Radelns, sondern auch der aufkommende Stress, dass ich meine zweite Fahrt gleich verhauen könnte, lässt mein Herz schneller schlagen. Dann noch eine automatische Nachricht von meiner App. Ich bekomme den Hinweis, dass ich schon sehr lange unterwegs sei, zu lange. Ich schaue skeptisch François, meinen Begleiter, an. „Keine Sorge“, sagt er. Ich könne mich ans Servicecenter wenden, wenn ich den Weg überhaupt nicht finde.

Geschafft!

Ich bin dann doch froh, dass ich es alleine schaffe. Auch meinen zweiten Auftrag erledige ich positiv. Für die zwei Fuhren habe ich 50 Minuten gebraucht, hatte keine Stehzeit. Nun ist es 15 Uhr, und die Nachmittagsflaute beginnt. In den kommenden 30 Minuten bekomme ich keinen Auftrag rein.

Letztlich bin ich doch froh, dass ich den Drahtesel am nächsten Tag wieder gegen meinen Redaktions-Laptop tauschen kann.

Was ich mitnehme: Es ist ganz schön hart, einen guten Job zu machen, und blitzschnell jene Wege finden, um das Essen immer warm an den Kunden zu bringen.