Halb geöffnet für die eigenen Leute

Covid-19
18.03.2020

Von: Thomas Askan Vierich
Gastrosperre Woche 1: Lieferservice und Takeaway sind nur Zwischenlösungen und können die Verluste nicht ausgleichen. Aber sie bewahren wenigstens Mitarbeiter vor der Freistellung
Elena und Gerald Leichnitz haben ihr Lokal Buddha Bowl erst vor einem Jahr eröffnet.
Elena und Gerald Leichnitz haben ihr Lokal Buddha Bowl erst vor einem Jahr eröffnet.
Gonca arbeitet (noch) im Hungry Guy.
Das Kiang hat wie die meisten komplett zu.

Die Szene hat etwas Beängstigendes. Gerald Leichnitz, der Wirt von Buddha Bowls, stellt einen Papiersack mit Essen auf den Boden seines Takeaway-Lokals in der Wiener Praterstraße. Dann tritt er zwei Schritte zurück. Ein Fahrradfahrer von Lieferando nähert sich, tritt einen Schritt durch die offene Tür und nimmt das Sackerl entgegen. Beide müssen Sicherheitsabstand einhalten.

Leichnitz hat heute eine Twittermeldung vom Bundeskanzler erhalten, dass so der Lieferservice beziehungsweise das Takeaway ablaufen muss. Kontaktlos. „Letzten Freitag und Montag hat das noch ganz gut funktioniert, jetzt haben wir nur noch mittags offen. Und ich muss 30% Marge vom Bruttopreis an Lieferando oder Mjam zahlen. Wenn ich scharf rechne, verdiene ich weniger als eine Putzfrau.“

Als er mich fragt, wie lange dieser Ausnahmezustand wohl noch anhalten wird und ich von „mehreren Wochen sicher“ spreche, wird er blass: „Das überleben wir nicht! Der Mochi, ein Super-Fusion-Japaner nebenan, hat mit 80 Angestellten ganz zu gemacht. Und zu mir gesagt, er wisse nicht, ob er je wieder aufsperren wird.“

Als ich den Lieferando-Boten, ein junger Mann, frage, wie die Geschäfte laufen, sagt er: „Normal, ich kann nicht klagen.“ Und radelt davon.

Nur noch für die Miete

Leichnitz und seine Frau Elena stehen alleine im Lokal, ihre sieben Angestellten haben sie in Urlaub, zum Zeitabbau oder auf Kurzarbeit nach Hause geschickt. Mit dem Mittagsgeschäft schaffen sie es gerade, ihre laufenden privaten Kosten einzuspielen, die Kosten fürs Lokal nicht. Und Leichnitz kann auch nicht von den Überbrückungskrediten oder Förderungen der WKÖ, dem AMS oder der ÖHT profitieren. Sie haben erst vor einem Jahr aufgesperrt, erklärt er, um an Kredite oder Förderungen zu kommen, schreiben das AMS, ÖHT und die Kammer den Ausweis von mindestens zweijähriger erfolgreicher Geschäftstätigkeit und zwei Jahre Kammermitgliedschaft vor. Gerald und Elena Leichnitz haben 100.000 Euro in ihr Lokal investiert….

Auf der Straße treffe ich einen befreundeten Wirten, der am Karmeliterplatz eine innovative Weinstube mit frisch gekochten Speisen betreibt – den Stadtheurigen Zum Reichsapfel. Er hat zugesperrt. Will aber bald zwischen 17 und 20 Uhr frisch zubereiteten Kümmelbraten im Takeaway anbieten. Ist sich aber unsicher, ob sich das rechnet.

Ein Zeichen setzen

Das Kiang in der Nähe vom Schwedenplatz hat ebenfalls zu und verzichtet auch auf einen Takeaway-Betrieb. Obwohl es eigentlich ein Takeaway-Lokal ist. Aber wenn in den Büros rundherum niemand arbeitet und auch niemand Einkaufen geht, lohnt sich auch kein Takeaway.

Gegenüber hat das israelische Pitalokal Hungry Guy geöffnet. Das heißt, in der offenen Tür steht ein runder Tisch, der als Sperre fungiert. Hier kann man sein Essen oder Getränke zum Mitnehmen bestellen. Das Lokal ist komplett leer, bis auf eine junge rothaarige Frau und ihr männlicher Kollege in der offenen Küche. „Wie laufen die Geschäfte“, frage ich die rothaarige Gonca, als sie zur Sperre gekommen ist. „Mäßig“, sagt sie. Da tritt ihr Chef dazu, Eyal Guy. Er sagt: „Ich mache das hier nur, damit ich meine Angestellten irgendwie halten kann. Und um ein Zeichen zu setzen. Lohnen tut sich das überhaupt nicht.“

Danach radle ich mit meinen Einkäufen aus dem Supermarkt nach Hause. Wir werden heute Abend wieder selber kochen. Früher hätten wir uns an so einem schönen Frühlingstag bei 20 Grad in einen Gastgarten gesetzt. Aber die schönen Tage sind erstmal vorbei – trotz Sonnenscheins. Nicht nur aus Sicht der Gastronomie kann man nur hoffen, dass dieser Ausnahmezustand nicht mehr lange anhalten muss. Das werden viele Gastronomen nicht überleben. Vor allem die, die gerade erst aufgesperrt haben. Oder die Kammer und die ÖHT ändern rasch ihre Statuten für Überbrückungskredite und Förderungen.

In Bayern haben sie eben die erste Ausgangssperre in einer Stadt verhängt. In Tirol stehen immer mehr Orte unter Quarantäne. Europa schließt seine Grenzen. Vor den Wiener Apotheken stehen Schilder, dass man nur einzeln eintreten darf. Es bilden sich Menschenschlangen.

Es ist wie im Krieg. Gegen einen unsichtbaren Feind, den wir lange unterschätzt haben. Jetzt ist er da. Und wird so schnell auch nicht wieder gehen. Er wird uns höchstwahrscheinlich nicht umbringen. Aber vermutlich einige Unternehmerkarrieren zerstören.

An der Tür des Berndl, ein Beisl, das in normalen Zeiten  sieben offene oberösterreichische Biere im Ausschank hat, hängt schon seit einigen Tagen ein handgeschriebener Zettel: Auf dem steht unter anderem: „Liebe Gästinnen und Gäste, wir haben schon heute zugesperrt, um unseren Beitrag zu leisten. Wir schaffen das gemeinsam!“